Sachlich im Anspruch, pauschal im Argument – die TV-Kritik zu „Markus Lanz“

Es steht nicht gut um die SPD, in der neuesten Sonntagsfrage kommt sie nur noch auf 13 Prozent. Passend dazu geht es bei Moderator Markus Lanz am späten Mittwochabend um die Schwäche der Sozialdemokraten und den Dauerbrenner Migration.

Die Gäste

  • Alexander Schweitzer, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz
  • Julia Löhr, „FAZ“-Journalistin
  • Kolja Saß, FDP-Lokalpolitiker
  • Ahmad Mansour, Psychologe und Autor

Lanz läuft zur Höchstform auf

Dass er ihn an diesem Abend nicht schonen wird, lässt Markus Lanz den rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Alexander Schweitzer gleich zu Beginn spüren. Als Vertreter der SPD muss er für seine Partei geradestehen – auch wenn es bisweilen weh tut.

Wie es sein könne, dass SPD-Chef Lars Klingbeil auf dem Parteitag vor knapp zwei Wochen gerade einmal 64,9 Prozent der Stimmen erhielt, fragt Lanz Schweitzer. „Ich habe das für nicht besonders strategisch klug empfunden“, kritisiert er das Votum seiner Parteifreunde. Er liebe die SPD, aber frage sich gelegentlich, warum sie manche Entscheidungen treffe.

Lanz möchte weiter über Klingbeil sprechen: „Stimmt es, dass er kurz überlegt hat, hinzuschmeißen?“ Das wisse er nicht, beteuert Schweitzer zweimal. „Sie sind doch sein Vize“, hält Lanz dem neugewählten stellvertretenden SPD-Vorsitzenden entgegen. „Ich hab jetzt auch als Vizevorsitzender nicht die Möglichkeit, in seine Seele hineinzugucken“, antwortet der. Touché.

Lanz ist an diesem Abend besonders angriffslustig gestimmt. Wofür Klingbeil stehe, fragt er Schweitzer: „Für diese verloren gegangene Glaubwürdigkeit?“ Genüsslich setzt Lanz da an, wo es wehtut. Prompt folgt die nächste Attacke: „Wie fanden Sie denn die Nummer mit Saskia Esken?“ Die meisten Sticheleien lässt Schweitzer gekonnt an sich abprallen.

Stromsteuer, Mütterrente und Wortgirlanden

Als Lanz auf einer Antwort zu Esken beharrt, sagt Schweitzer: „Ich versuche nicht, Ihrer Frage auszuweichen, sondern ich versuche, ein bisschen mehr Zeit zu gewinnen für die Antwort.“ Kein Satz fasst seinen Auftritt besser zusammen.

Gemeinsam lassen Lanz und die Wirtschaftsjournalistin Julia Löhr den Ministerpräsidenten mit seinen aalglatten Formulierungen auflaufen. „Das muss baldmöglichst ergänzt werden“, sagt Schweitzer etwa zu der Entscheidung, nur Unternehmen bei der Stromsteuer zu entlasten, nicht aber Privathaushalte. „Ich versuche jetzt gerade, dieser Formulierung hinterherzukommen“, scherzt Lanz.

Alexander Schweitzer (SPD), Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, auf dem SPD-Parteitag.

© dpa/Michael Kappeler

Schweitzer bleibt seinem Sprachstil treu. Die Entlastung für alle habe „man“ nicht durchgesetzt. „Also Wortbruch?“, fragt Lanz dreimal nach. „Man hat das nicht umgesetzt“, erwidert Schweitzer stoisch. „So schön immer diese Formulierung ‘man’“ kommentiert Löhr. „Ich liebe diese Wortgirlanden“, feixt Lanz.

Dasselbe Spiel beim Thema Mütterrente: „Die sozial Schwachen, ihre Klientel, die kriegen das nicht“, greift Lanz den Ministerpräsidenten an. Die zusätzlichen rund 20 Euro Mütterrente würden bei Bedürftigen „von der Grundsicherung direkt wieder abgezogen“, argumentiert der Moderator.

„Herr Lanz, das ist natürlich absolut richtig“, sagt Schweitzer. Trotzem sei er überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen von der Mütterrente profitiere. „Warum soll ich den einen etwas nicht geben, bloß weil ich es anderen nicht geben kann?“, fragt er. Das sei nicht sein Punkt, betont Lanz immer wieder.

Irgendwann lässt sich Schweitzer doch zu einer klaren Aussage über den Koalitionsausschuss und die Stromsteuer-Entscheidung hinreißen: „Das Zeichen, dass wir am Ende nicht an alle denken, das ist gesetzt worden.“

Migration, die Mutter aller Probleme?

Zwei weitere Blöcke der Sendung widmen sich den Kassenschlagern der politischen Debatte, Migration und Bürgergeld. Der Vielschichtigkeit insbesondere der Zuwanderung wird die Runde leider kaum gerecht.

Lanz spricht Schweitzer auf einen Vorfall im hessischen Gelnhausen an, wo Ende Juni mehrere syrische Männer acht Mädchen sexuell belästigt haben sollen. „Wir haben auch solche Vorkommnisse“, berichtet der Ministerpräsident. Um wie viele Fälle es sich genau handelt, sagt er nicht, hält das gar nicht für nötig.

Wir bekommen ägyptische Zustände.

Autor Ahmad Mansour

„Da ist jedes Delikt eines zu viel, insofern kann ich mit Zahlen gerne argumentieren, aber ich finde, das passt nicht in die Diskussion“, sagt Schweitzer. Diese durchaus abenteuerliche Aussage bleibt unwidersprochen. Auch der zuvor noch so fragelustige Moderator kommt nicht auf die Idee, Schweitzer auf konkrete Zahlen festzunageln.

„Statistik ist das eine“, sagt die Journalistin Julia Löhr wenig später. „Das andere ist das Gefühl vieler Menschen, die sich halt fremd im Land fühlen und nicht mehr sicher fühlen.“ Lanz hätte einwenden können, dass Gefühle nunmal keine Fakten ersetzen. Stattdessen pflichtet er Löhr bei.

Natürlich gibt es gute Argumente dafür, nicht nur auf die Kriminalstatistik zu setzen. Autor Ahmad Mansour etwa argumentiert, dass viele Übergriffe gar nicht erst angezeigt würden. Dennoch zeigt sich hier wie anderswo ein gravierendes Problem: Wird der Anspruch, faktenbasiert zu argumentieren, von vorneherein aufgegeben, gerät das Ressentiment zum überzeugenden Argument.

Sachlich im Anspruch, pauschal im Argument

Der Sendung und insbesondere Mansour gelingt es mehr schlecht als recht, pauschale Zuschreibungen zu vermeiden. In alltäglichen Situationen, etwa beim Schwimmbadbesuch oder auf dem nächtlichen Spaziergang nach Hause, fühlten sich viele Menschen mittlerweile unsicher, befindet Mansour.

Das sei ein Symptom für eine von der Zuwanderung überforderte Gesellschaft. „Wir verlieren öffentliche Räume“, sagt der Autor. Tabuisierung helfe nicht: „Wir müssen endlich als Gesellschaft anfangen, darüber eine Sprache zu finden.“

Sachlich und differenziert müsse diese Sprache sein, so Mansour. „Es geht nicht um Migranten, es geht nicht um Muslime. Es geht um eine Gruppe von Menschen, die einfach unseren Rechtsstaat verachten.“

Diese Leute wüchsen in patriarchalen Gesellschaften auf, „wo sie denken, ein Mädchen, die blond ist oder mit Bikini oder deutsch ist, ist verfügbar, es ist ehrenlos, da kann man sie anfassen“. Auf dem Höhepunkt seiner Ausführungen angelangt, behauptet Mansour: „Wir bekommen ägyptische Zustände.“ Differenzierter geht es kaum.

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Aller Ehren wert ist der Versuch des Moderators, ganz am Ende der Sendung doch noch einmal die Dimensionen des Problems richtigzustellen. „Es ist mitnichten so, dass alle Geflüchteten, Migranten, die in den letzten Jahren zu uns gekommen sind, sich so benehmen“, sagt Lanz. „Ein kleiner Teil bringt alle in Misskredit.“ Diese Einsicht kommt leider zu spät.

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