Viel ist derzeit von sogenannten „rechten Narrativen“ die Rede. Die Partei die Linke, die Grünen und die SPD werfen der Union alle naselang vor, auf diese zu setzen, ob es nun um deren Verweigerung gegenüber der Regenbogenfahne und der Privilegierung „queerer“ Menschen geht oder um die Verweigerung der Wahl einer linksaktivistischen Professorin in das Bundesverfassungsgericht. Man könnte diese Haudrauf-Kommunikation umgekehrt eine linksgrüne Erzählung nennen: nämlich die von einer Union, die es sich unverzeihlicher Weise hin und wieder anmaßt, einmal nicht ganz so brav der Agenda der politischen Kräfte zu folgen, die sich neuerdings als „demokratische Mitte“ bezeichnen, um so zu tun, als wäre ihr linkes Programm der demokratische Normalfall.
Jede Abweichung oder auch nur das Erlahmen auf dem Pfad zur diskriminierungs- und CO2-freien Buntgesellschaft ist dieser Erzählung zufolge „rechts“ und bedarf des schweren Tadels durch Gouvernanten wie Britta Haßelmann. Um die Grünen-Bundestagsfraktion auf X.com zu zitieren: „Wir akzeptieren keinen Rückschritt bei der Gleichstellung & fordern von der Regierung, Diskriminierung & #Queerfeindlichkeit entschlossen entgegen zu treten! Gemeinsam mit vielen Akteur*innen bleiben wir bunt, laut & vielfältig & setzen uns für den Schutz dieser #Vielfalt ein.“ Im Extremfall kann sich der Vorwurf, „rechten Narrativen“ zu folgen, natürlich auch gegen innerparteiliche Abweichler wenden, sogar gegen Robert Habeck, wenn der mal ein Jota vom Kurs der totalen Migrationsfreudigkeit abkommt.
Katastrophenerinnerung als Vorwand für grünes Narrativ
Nun hat zum vierten Jahrestag der Flut im Ahrtal die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann umgekehrt vorexerziert, wie linksgrüne Narrative funktionieren. Die Erinnerung an die Naturkatastrophe in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, bei der allein in Deutschland über 180 Menschen starben, nahm sie zum Anlass, die Einrichtung eines „Klimaschäden-Hilfsfonds“ zu fordern. Den Menschen, die die Folgen der „Klimakrise“ in Form schwerer Schäden zu spüren bekämen, müsse schnell und unbürokratisch geholfen werden, sagte Haßelmann der Deutschen Presse-Agentur. „Das notwendige Geld soll aus einem Klimaschäden-Hilfsfonds kommen. Konzerne, die mit Umweltverschmutzung Milliarden verdienen, sollen in diesen Fonds einzahlen und zu den Kosten ihrer Schäden beitragen.“
Das in dieser dpa-Meldung steckende Narrativ wird oft von Grünen genutzt und ist gerade deswegen bewährt erfolgreich, weil es als solches, nämlich als meinungsmachende Erzählung, in den Medien kaum je entlarvt, sondern meist munter weitererzählt wird – im Gegensatz zu den „rechten Narrativen“. Die Erzählung funktioniert also so, dass man – erstens – jede Hitzewelle, jeden Starkregen und jede daraus möglicherweise entstandene Naturkatastrophe zu einer Art Strafe für vermeintlich zu wenig Klimaschutz deutet – also letztlich zu wenig grüne Politik. Haßelmann exerziert das mit diesen Worten durch: „Die Flutkatastrophe im Ahrtal und der Region hat Leben gekostet, Existenzen zerstört und massive Schäden verursacht und rund 40 Milliarden Euro gekostet. Herr Merz, so teuer ist es, Klimaschutz zu unterlassen.“ Merz verlangsame den Klimaschutz – angesichts von Hitze, Wetterextremen und Überflutungen sei das verantwortungs- und empathielos.
Die konkrete Forderung Haßelmanns wird zwar kaum erfüllt werden, aber immerhin bleibt bei jenen, die den oben zitierten Satz lesen, der Subtext hängen: Die energieintensiven Konzerne sind für die Ahrflut samt der Toten und der Zerstörung verantwortlich. Wenn sie also durch Klimaschutzpolitik bluten, so geschieht es ihnen nur recht. Eine abstrakte, universelle Schuld- und Verantwortungskaskade, die sich, wenn man sie denn ernstnimmt, gegen die gesamte Menschheit als Kollektiv der produzierenden und konsumierenden CO2-Emissionsverursacher richten müsste, wird zu eigenen Zwecken vereinfacht und gegen spezifische politische Gegner gerichtet, die zur Unterwerfung ermahnt werden – Merz und die umweltverschmutzenden „Konzerne“.
Klimapolitik ist unangreifbar
Die – bei näherer Überlegung nur als abstrus zu bezeichnende – hergeleitete Schuldzuweisung braucht keinen konkreten Nachweis, da sie auf universellen Zusammenhängen beruht. Das ist das Praktische an der Klimaschutzpolitik für die Klimaschutzpolitiker: Für deren (Un-)Wirksamkeit ist nie ein konkreter Nachweis möglich und nötig. Sie können daher stets in höchsten universal-moralischen Tönen anklagen und fordern, ohne jemals für die Ergebnisse verantwortlich gemacht werden zu können. Die Rettung der Welt ist für Politiker ein dankbares und risikoarmes Geschäft, bei dem sie nicht verlieren können.
Im Falle der Ahrflut hat das Narrativ noch einen für die grünen Erzähler besonders angenehmen Nebensinn. Es lenkt ab von den sehr wohl konkret nachweisbaren Verantwortlichkeiten konkreten Versagens im Katastrophenschutz der vor Ort zuständigen Behörden und Politiker. Wenn Haßelmann das Verantwortungsgefühl und die Empathie für die Opfer wirklich wichtig wäre, das sie Merz und der CO2-Industrie abspricht, hätte sie nämlich aus Anlass des Jahrestages an diejenigen erinnern müssen, die damals so eklatant versagten. Nicht zuletzt betraf dieses Versagen ihre Parteifreundin Anne Spiegel, die damals Landesumweltministerin und Vize-Ministerpräsidentin war und sich am Morgen nach der Katastrophe besonders um ihr politisches Image und korrektes Gendern in der Pressemitteilung sorgte, während sie am Abend zuvor Warnungen nicht weitergeleitet hatte und wenige Tage danach in Urlaub fuhr. Auch Anne Spiegel ging es also angesichts der Katastrophe und des massenhaften Sterbens vor allem um ein Narrativ. Um eine Erzählung, in der sie selbst und die grüne Umweltpolitik positiv dastehen und ihr Versagen währenddessen vergessen werden kann.
Haßelmanns Hochmut
Ausgerechnet diese Frau, die schon auf Landesebene als Ministerin erwiesenermaßen überfordert war, wurde dann wenige Monate später in die Bundesregierung berufen, um eine gewisse Christine Lambrecht als Familienministerin zu ersetzen. Die ist ihrerseits dann als Verteidigungsministerin zum Inbegriff der Inkompetenz angesichts des Ernstes politischer Aufgaben geworden, als sie sich durch eine peinliche, vor Eitelkeit triefende Erzählung (sozusagen den Versuch eines Narrativs) endgültig lächerlich machte und geschasst wurde. Scholz wurde offenkundig erst nach Russlands Angriff auf die Ukraine klar, dass die Bundeswehr kein Spielfeld für Symbolpolitik und Quoten mehr sein konnte. Und Spiegel brach schließlich, als ihr Versagen selbst den grünen Parteifreunden und den ihnen zugetanen Medien allzu offensichtlich wurde, vor laufenden Kameras derart in sich zusammen, dass man fast Mitleid haben konnte.
Wenn es denn ein glaubwürdiges und lehrreiches nachträgliches Politiknarrativ geben sollte für die Ahrflut, dann ist es das der viel zu leicht in allzu hohe Ämter gehievten Politiker, die bei der ersten ernsten Bewährungsprobe versagen und sich im Angesicht des Todes und der Zerstörung vor allem um ihr Image sorgen – und trotzdem noch weiter aufsteigen. Wenn man also schon diese Naturkatastrophe, die zigfachen Tod und Verheerungen für ganze Regionen bedeutete, zum Gegenstand politischen Gedenkens macht, dann müsste dazu aus wirklichem Verantwortungsgefühl und Empathie gegenüber den Opfern vor allem Demut gehören – nicht zuletzt in der Grünen Partei, deren Führung Spiegel trotz ihres Versagens ins Bundeskabinett beförderte. Haßelmann beweist mit ihrem dreisten Klimaschutz-Narrativ das Gegenteil: Hochmut.