Vor dem Viertelfinale gegen Italien bei der Frauen-EM in der Schweiz gibt es in Norwegen Diskussionen um die beste Aufstellung. Plötzlich sieht sich auch eine scheinbar Unantastbare in Frage gestellt.
Es ist eigentlich eine alltägliche Praxis im Fußball, nach vorzeitiger Erreichung eines Zwischenziels durchzuwechseln. Einerseits, um der zweiten Reihe eine Chance zu geben. Andererseits, um den Leistungsträgern auch einmal eine Pause zu gönnen. Genau so hat es die norwegische Nationalmannschaft bei der Frauen-EM in der Schweiz gemacht.
Die Skandinavierinnen hatten sich bereits nach den ersten beiden Spielen der Gruppe A und zwei mühsamen 2:1-Siegen gegen die Gastgeberinnen aus der Schweiz und Finnland fürs Viertelfinale qualifiziert. Vor dem abschließenden Gruppenspiel gegen Island rotierte Norwegens Trainerin Gemma Grainger gleich sechsmal. Unter anderem blieben die Stars Ada Hegerberg (Olympique Lyon) und Caroline Graham Hansen (FC Barcelona) auf der Bank.
Signe Gaupset mit vier Scorerpunkten gegen Island
Die neu ins Team gerückten Spielerinnen nutzten ihre Chance. Beim 4:3-Erfolg gegen Island glänzte allen voran Signe Gaupset. Die 20-jährige Mittelfeldspielerin erzielte die ersten beiden norwegischen Treffer selbst, zu den weiteren beiden Toren von Frida Maanum leistete Gaupset die Vorarbeit. Vier Scorerpunkte, an allen Toren beteiligt, viel mehr geht nicht. Eine Leistung, die ihre Ambitionen auf einen Platz in der Startelf unterstreicht.
Die Norwegerin Signe Gaupset schnürte gegen Island einen Doppelpack.
Ein erfrischender Auftritt
Doch nicht nur Gaupset überzeugte, sondern auch ihre Kolleginnen, die in die Mannschaft gerückt waren. Auch wenn der Gegner „nur“ Island war, so zeigten die Norwegerinnen Spielwitz und Offensivdrang. Eigenschaften, die in den ersten beiden Gruppenspielen etwas vermisst worden waren. Gegen die Schweiz und Finnland setzten sich die Skandinavierinnen zwar durch, aber ohne zu überzeugen.
Erik Thorstvedt: „Bin jetzt viel optimistischer“
So steht am Ende zwar nach drei Siegen Platz eins in der Vorrundengruppe A, dieser war in der wohl schwächsten Gruppe bei dieser EM aber auch erwartet worden. Deshalb gibt es in der Heimat neben Lob auch die Forderung, dass die vermeintliche „erste Elf“ überdacht werden soll. „Es war gegen Island eine fantastische Nacht. Plötzlich spielte Norwegen viel besser und hatten Spielerinnen, die heraustraten. Ich bin jetzt viel optimistischer, was das Viertelfinale gegen Italien angeht“, führte etwa Experte Erik Thorstvedt in der norwegischen Tageszeitung „Dagbladet“ aus.
„Elisabeth Terland sollte für Ada Hegerberg starten“
Der frühere Profi, der in der Saison 1986/1987 bei Borussia Mönchengladbach unter Vertrag stand, findet, dass die norwegische Nationaltrainerin Grainger ihre Lehren aus dem Island-Spiel ziehen sollte. Denn dies sei der beste Auftritt der Skandinavierinnen bei der EM 2025 gewesen. Der 62-Jährige stellt sogar Kapitänin Hegerberg in Frage. „Es wird unglaublich spannend sein zu sehen, was Gemma Grainger macht. Ich bin der Meinung, dass Elisabeth Terland für Ada Hegerberg starten sollte“, sagte er und führte aus: „Ada ist Kapitänin, aber das ist egal. Du musst mit dem besten Team antreten. Sie kann auch die Kapitänin dieses Teams sein wenn sie nicht auf dem Feld ist.“
Norwegens Trainerin Gemma Grainger hat im Viertelfinale gegen Italien die Qual der Wahl.
Terland war beim norwegischen Auftakterfolg gegen die Schweiz in der 75. Minute für Hegerberg eingewechselt worden, beide spielen im Sturmzentrum. Gegen die Finninnen blieb Terland über die komplette Spielzeit auf der Bank, bevor sie gegen Island starten durfte und 61 Minuten Spielzeit bekam. In diesen zeigte sich die 24-Jährige von Manchester United agil und bemüht, kam auch mehrfach zum Abschluss, blieb vor dem gegnerischen Tor aber glücklos.
Experten stellen Ada Hegerberg in Frage
Im norwegischen Rundfunk NRK wird Hegerberg ebenfalls in Frage gestellt. Dort stellt mit Carl-Erik Torp ein früherer Profi die These auf, dass „Nationaltrainerin Gemma Grainger im Innersten weiß, dass Norwegens beste Chance, das Viertelfinale zu gewinnen, ohne Hegerberg in der Startelf“ sei.
Die norwegische Kapitänin Hegerberg genießt hohes Ansehen im Team – sitzt sie im Viertelfinale nur auf der Bank?
Genauso sieht es mit Elise Thorsnes eine noch aktive Spielerin von Valerenga Oslo. „Ada Hegerberg sollte nicht starten, stattdessen sollten Elisabeth Terland oder Karina Saevik in der Spitze spielen“, sagt Thorsnes, die 2013 mit Norwegen gegen Deutschland (0:1) im EM-Finale stand, gegenüber der Tageszeitung „VG“. „Terland hat bewiesen, dass sie viele der Qualitäten von Hegerberg hat, vielleicht sogar noch mehr.“
„VG“ lässt mit Anna Ryden auch noch eine Fußballreporterin zu Wort kommen, die sich für Hegerberg einsetzt. „Frida Maanum (eigentlich im offensiven Mittelfeld beheimatet, d. Red.) sollte im Sturm spielen. Ich würde Caroline Graham Hansen auf rechts und Signe Gaupset auf der linken Seite sehen. Ada Hegerberg könnte dann eine zentrale Rolle hinter der Spitze einnehmen“, so die Expertin, die für die schwedische Boulevardzeitung „Aftonbladet“ arbeitet.
Viele Diskussionen also um Hegerberg, die bislang ein durchwachsenes Turnier spielt. Gegen die Schweiz traf sie zwar, vergab aber auch einen Elfmeter und entschuldigte sich nach der Partie mit einem Augenzwinkern bei den norwegischen Fans: „Ich werde weiter trainieren, aber es tut mir sehr leid, dass ich die armen Zuschauer so gestresst habe.“
2018 schrieb Ada Hegerberg Geschichte
Die 30-Jährige, die 2018 als erste Spielerin mit dem „Ballon d’Or“ als „Weltfußballerin des Jahres“ ausgezeichnet wurde, gilt in ihrer Heimat als absoluter Superstar. Und ist eigentlich unverzichtbar, was auch ihre 50 Tore in 93 Länderspielen unterstreichen.
Ada Hegerberg gewann 2018 den „Ballon d’Or féminin“ vor Dänemarks Pernille Harder und Deutschlands Dzsenifer Marozsan.
Wie entscheidet Norwegens Trainerin Gemma Grainger?
Man darf auch deshalb gespannt sein, wie Trainerin Grainger sich bei der Wahl der Aufstellung gegen Italien entscheidet. Es scheint schwer vorstellbar, dass die norwegische „Fußball-Ikone“ Hegerberg in einem K.o.-Spiel auf der Bank sitzen wird. So oder so – dass die Stürmerin selbst eine absolute Teamplayerin ist, steht außer Frage. Bei den norwegischen Toren gegen Island jedenfalls jubelte Hegerberg äußerst ausgelassen – auch wenn sie selbst nicht auf dem Feld stand.