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Das Viertelfinale ist „gebucht“, die Platzierung in der eigenen Gruppe sowie der mögliche Gegner in der Runde der letzten Acht aber noch nicht fix. Welcher potenzielle Gegner Deutschland am besten liegen würde, zeigen die Daten.
Ein „Klassiker“ wird es auf jeden Fall, so viel ist klar. Denn egal, ob es für die DFB-Frauen im EM-Viertelfinale gegen England, Frankreich oder die Niederlande geht (theoretisch ist auch der krasse Außenseiter Wales noch möglich), wird es ein Duell mit viel Fußball-Flair geben.
Und ganz gleich, wer die Gegnerinnen sein werden, Bundestrainer Christian Wück hatte sie bereits vor Beginn des Turniers in der Schweiz zum (erweiterten) Favoritenkreis gezählt. Für sein Team gilt es also in jedem Fall, eine „harte Nuss“ zu knacken, soll der Traum vom EM-Titel weiterleben.
Spiel gegen Schweden am Samstag entscheidend
Zu welcher Begegnung es für Deutschland zum Auftakt der K.o.-Phase kommt, hängt einerseits von der eigenen Partie gegen Schweden am Samstagabend ab (21 Uhr, im Liveticker und Audio-Livestream auf sportschau.de). Und andererseits vom Ausgang der Begegnungen in Hammergruppe D am Sonntag, wenn parallel ab 21 Uhr England gegen Wales sowie Frankreich gegen die Niederlande spielen.
Welches der drei Teams aber würde den DFB-Frauen am besten liegen?
Deutschland gegen England und Niederlande favorisiert
Den Daten-Experten des Global Soccer Networks (GSN) zufolge sind das eindeutig die Niederlande. Die errechnete Siegwahrscheinlichkeit Deutschlands in einem Duell mit den Nachbarinnen würde auf der Basis der bislang gezeigten Leistungen bei satten 68 Prozent liegen.
Auch gegen England wäre das Team demnach leicht favorisiert – bei einer Siegwahrscheinlichkeit von 53 Prozent aber wäre es deutlich knapper. Und in ein Spiel gegen Frankreich würden Kapitänin Janina Minge und Co. als leichte Underdogs gehen – hier sehen die Analysten die Wahrscheinlichkeit eines deutschen Weiterkommens bei 48 Prozent.
Deutschland: Viele Stärken, aber auch Herausforderungen
Deutschlands Stärken in Wücks 4-2-3-1-System liegen laut GSN in einer stabilen Struktur, „die auf Ballkontrolle, flexible Raumaufteilung und planvolle Angriffsmuster setzt“. Das ermögliche dem Team, das „Spieltempo zu diktieren und Druckphasen des Gegners aufzufangen“. Zugleich, so die Analysten, bestünden je nach Gegner allerdings „spezifische Herausforderungen – insbesondere bei Physis, Umschaltabsicherung und individueller Qualität in Eins-gegen-eins-Situationen“.
Die Stärken der drei Gegner sind dabei ganz unterschiedlicher Art: England bringt Physis und Direktheit und hat im Angriff mehr individuelle Durchschlagskraft. Frankreich punktet mit Athletik, Kreativität sowie größerer Tiefe in der Offensive. Und die Niederlande setzen auf Robustheit, klare Flügelmuster und starke Standards.
Deutschland kann Unterschiede in Spielansätzen oft systemisch kompensieren – über Disziplin, Raumaufteilung und Teamwork.
Analyse des Global Soccer Networks
Der Weg zum Erfolg wird für das Wück-Team also in der jeweiligen „taktischen Anpassung“ liegen, um Stärken des Gegners zu begegnen und Schwächen bestmöglich auszunutzen. Voraussetzungen dafür aus Sicht der GSN-Analysten: „Hohe Disziplin, taktisches Verständnis und eine variable Umsetzung“ – Grundtugenden, die Wück seit seiner Übernahme im vergangenen Herbst immer wieder von seinen Spielerinnen gerade in defensiver Hinsicht einfordert.
Zur Ausgangslage: Die Niederlande haben von den drei „Großen“ der Gruppe die schlechteste Ausgangslage und dennoch ein Weiterkommen in den eigenen Händen – oder auf den eigenen Füßen. Der Weg gegen die bislang so starken Französinnen ist dennoch weit: Einen englischen Erfolg über Wales vorausgesetzt, würde für das Viertelfinale nur ein Sieg mit mindestens drei Toren Unterschied reichen.
Gruppe D vor dem dritten Spieltag
Team
Punkte
Tore und Gegentore
Frankreich
6
6:2
England
3
5:2
Niederlande
3
3:4
Wales
0
1:7
Deutschland gegen Niederlande
Für die DFB-Frauen wären die Niederlande eindeutig das „beste Match“ im Viertelfinale. Und das nicht nur, weil sie das jüngste Duell im Rahmen der aktuellen Nations-League-Gruppenphase klar mit 4:0 für sich entschieden. Gegen die defensive Ausrichtung des Teams von Coach Andries Jonker bietet Wücks ballbesitzorientierter Ansatz vor allem eines: Spielkontrolle. Zudem könnten sich die DFB-Frauen mit einem sauberen Passspiel Räume hinter dem niederländischen Pressing eröffnen.
Herausforderungen stellen sich in der Standardstärke der Niederländerinnen, dem „Knacken“ der tiefstehenden Doppelsechs sowie dem Absichern der Konter über die Außen.
1. Ballbesitzorientierte Spielkontrolle
Die deutsche Elf hat eine ruhigere, methodischere Ballzirkulation. Die Niederlande stehen defensiv kompakter und tiefer, was Deutschland erlaubt, das Tempo zu bestimmen und die Passwinkel zu steuern.
2. Pressingresistenz und Sauberkeit im Aufbau
Die Niederlande pressen oft in Wellen, lassen sich auch mal zurückfallen. Deutschlands definierte Aufbauformation kann das ausnutzen und mit klaren Passfolgen Räume hinter der Mittelfeldlinie öffnen.
3. Variabilität im Angriffsdrittel
Deutschland ist nicht auf eine Angriffsmethode festgelegt: Flügelüberladungen, diagonale Läufe, Halbraumkombinationen und direkte Durchbrüche sorgen dafür, dass die niederländische Defensive in Bewegung bleibt und nicht kompakt stehen kann.
1. Standardgefährlichkeit und Lufthoheit der Niederlande
Die Niederlande sind bei ruhenden Bällen traditionell sehr stark. Deutschlands Defensive muss extrem aufmerksam und körperlich präsent sein, um Kopfballduelle und zweite Bälle zu klären.
2. Tiefe und Kompaktheit der niederländischen Doppelsechs
Die Niederlande stehen im Zentrum oft sehr diszipliniert und verhindern direkte Durchbrüche. Deutschlands Kombinationen müssen präzise sein, um diese Blockade zu umgehen.
3. Konter über die Flügel nach Ballverlust
Die Niederlande verteidigen tief, laden Deutschland so zum Aufrücken ein. Ballverluste in dieser Phase sind gefährlich, weil sie sofort in direkte Konter über die Außenbahnen umschalten können. Deutschlands Rückwärtsbewegung muss daher schnell und koordiniert sein.
Aus Sicht der GSN-Experten gäbe es in einem Duell mit den Niederlanden drei wichtige Faktoren für einen deutschen Erfolg: eine saubere und schnelle Ballzirkulation, Flankenvermeidung, aggressives Gegenpressing. Faktoren wie Geduld gegen einen defensiven Gegner, eine hohe Intensität im Pressing sowie eine hohe Aufmerksamkeit in der Defensive zur Vermeidung von Flanken und Standards können also spielentscheidend werden.
Deutschland gegen England
Schmerzhaft in Erinnerung ist aus deutscher Sicht in jüngerer Vergangenheit vor allem die Niederlage im Finale der EM 2022 (1:2 nach Verlängerung). Eine „Mini-Revanche“ aber glückte im vergangenen Herbst in Wembley, als die deutschen Frauen bei Wücks Debüt spektakulär 4:3 gewannen. In EM-Spielen hat die DFB-Auswahl nur eine von sieben Partien gegen die „Lionesses“ verloren.
Wie auch gegen die Niederlande könnte sich die Raumaufteilung in Wücks 4-2-3-1 den GSN-Experten zufolge gut eignen, um Ballkontrolle zu haben und Englands bisweilen wildes Pressing zu überspielen. Wichtig dafür: Dominanz im Zentrum.
Die wird aber eine Herausforderung gegen die physische Power der Europameisterinnen. Ein Problem könnten gegen die schnellen englischen Offensivkräfte zudem die Tempodefizite in der deutschen Defensive werden. Schnelle Konter des Teams von Trainerin Sarina Wiegman müssen die DFB-Frauen also tunlichst vermeiden.
1. Strukturierter Aufbau und Ballbesitzkontrolle
Deutschland hat unter der aktuellen Ausrichtung eine sehr sauber definierte Aufbauorganisation. Die Abwehrreihe agiert mit klaren Passwinkeln, die Sechser bieten sich flexibel zwischen den Innenverteidigern an und schaffen so Überzahlmomente gegen das erste Pressing. England hingegen sucht oft den direkten Zugriff, presst aggressiv, kann dabei aber Räume hinter der ersten Linie öffnen. Deutschland kann das mit ruhigem, planvollem Aufbauspiel bespielen und England in die Breite ziehen, bevor die entscheidende vertikale Aktion folgt.
2. Raumkontrolle im Zentrum
Das deutsche 4-2-3-1 ist darauf ausgelegt, das Zentrum eng zu halten und die Halbräume abzudecken. England lebt von vertikalem Spiel in diese Zonen, setzt gerne Achter in Bewegung oder nutzt schnelle Kombinationen durch die Mitte. Deutschlands Doppel-Sechs und die eingerückten Außenverteidiger bieten hier Absicherung, verhindern einfache Steckpässe und zwingen England zu weniger präzisen Zuspielen.
3. Variabilität im Angriffsspiel
Deutschland kann im letzten Drittel zwischen Flügelspiel und Zentrumsdurchbrüchen variieren. Mit klaren Überladungen auf den Seiten und flexiblen Halbraumläufen gelingt es, die englische Abwehr auseinanderzuziehen. England verteidigt oft mannorientiert oder mit einer recht starren Viererkette, was durch schnelle, gut abgestimmte Kombinationen geknackt werden kann.
1. Physische Zweikampfführung und Robustheit
England bringt traditionell viel Körperlichkeit ins Spiel. In direkten Duellen – ob im Mittelfeld oder in der Abwehr – können sie Druck ausüben und Ballverluste erzwingen. Deutschland muss aufpassen, sich nicht in unnötige körperliche Auseinandersetzungen ziehen zu lassen, in denen England Vorteile hat.
2. Defensive Anfälligkeit gegen Geschwindigkeit auf den Außenbahnen
England hat Flügelspielerinnen, die extrem direkt und schnell agieren. Deutschlands Außenverteidigerinnen müssen in der Rückwärtsbewegung aufmerksam bleiben, dürfen sich nicht zu weit aufrücken lassen und müssen bei Ballverlusten sofort reagieren. Hier entstehen gefährliche Räume.
3. Abschlussqualität und Effizienz bei England
England braucht oft weniger vorbereitende Pässe, um eine Torchance abzuschließen. Während Deutschland Wert auf geduldigen Spielaufbau legt, kann England mit einem oder zwei schnellen Kontakten kontern und gefährlich werden. Das bedeutet: Selbst bei Überlegenheit im Ballbesitz darf Deutschland sich keine Ballverluste im falschen Moment erlauben.
Mit „Geduld, Flügelverlagerungen sowie einer guten Konterabsicherung“ aber könnte es für das Wück-Team im direkten Duell etwas werden. Zumal das wilde 4:3 von Wembley im vergangenen Herbst der deutschen Mannschaft eine Idee gegeben, dass es gehen kann – wenngleich es einer anderen Defensivleistung als damals bedürfen wird.
Deutschland gegen Frankreich
Die Französinnen haben das jüngste Duell mit den DFB-Frauen Anfang 2024 im Halbfinale der zurückliegenden Nations League gewonnen (2:1). Bei der EM 2022 in England hingegen zog Deutschland durch ein 2:1 ins Endspiel ein.
Die Französinnen sind von den drei Mannschaften die einzige, für die die Experten in einem Duell mit Deutschland eine höhere Siegwahrscheinlichkeit errechnet haben. Das hat maßgeblich mit der individuellen Qualität vieler Spielerinnen sowie dem enormen Tempo und der offensiven Variabilität der Mannschaft von Trainer Laurent Bonadei zu tun.
1. Defensivorganisation und Kompaktheit im Zentrum
Frankreich liebt es, mit Technik und Tempo durch die Mitte zu kombinieren. Deutschlands Doppel-Sechs und die abgestufte Viererkette sind darauf ausgelegt, zentrale Passwege zuzustellen und Frankreichs Kurzpassspiel in ungefährliche Zonen zu lenken.
2. Geduld im Aufbau gegen hohes Pressing
Frankreich setzt gerne auf aggressives Anlaufen. Deutschlands System baut aber auf Pressingresistenz und klaren Abläufen: kurze Dreiecke, Rückpässe zur Neuordnung und gezielte Verlagerungen. So kann das Pressing umspielt werden, was wiederum Platz auf den Flügeln schafft.
3. Überzahlmomente im Mittelfeld schaffen
Deutschland kann situativ mit einem der Sechser abkippen oder die Zehn einrücken lassen, um das Zentrum zu überladen. Frankreich verteidigt häufig in einer relativ linearen Formation, was durch diese Überzahlbewegungen aufgelöst werden kann und Passwege hinter die Linie öffnet.
1. Eins-gegen-eins-Qualität Frankreichs auf den Flügeln
Frankreich verfügt über Dribblerinnen, die enge Räume auflösen und isolierte Duelle suchen. Deutschlands Abwehr muss hier sehr diszipliniert stehen und darf sich nicht zu weit herausziehen lassen, um keine Lücken im Zentrum zu öffnen.
2. Direkte Umschaltgefahr nach Ballverlust
Frankreich schaltet blitzschnell um und hat gute Laufwege in die Tiefe. Deutschlands Spielanlage setzt auf Ballkontrolle, was bei Ballverlusten riskant wird – hier müssen die Sechser sofort reagieren und die Abwehrkette gut organisiert zurückfallen.
3. Flexibilität im letzten Drittel
Frankreich kann im Angriff zwischen Flügelangriffen, Steilpässen durch die Mitte und Flanken wechseln. Deutschlands Defensive muss also variabel bleiben und darf sich nicht auf eine Angriffsmethode einstellen.
Deutschland aber hat mit seiner Doppelsechs und dem Agieren in seiner Viererkette den Analysen nach durchaus Möglichkeiten, dem Spiel der Französinnen die Stärken zu rauben. Und, wie auch gegen die anderen Teams, könnte in einem ruhigen und geduldigen Aufbauspield er Schlüssel liegen, um „Les Bleues“ zu überspielen und insbesondere über die Flügel offensiv gefährlich zu werden.
Es werde, so das Fazit, gegen Frankreich auf „Rhythmuskontrolle, Halbraumattacken sowie defensive Kompaktheit“ ankommen. Dann könnte Deutschland auch die bislang so starken Französinnen schlagen. Siegwahrscheinlichkeit hin oder her.