Drogenbeauftragter Hendrik Streeck: „Politik braucht mehr Wissenschaft“

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Der Bundesdrogenbeauftragte Hendrick Streeck. (Archivbild) © Michael Kappeler/dpa

Der neue Drogenbeauftragte Hendrik Streeck (CDU) erklärt, warum Aufklärung so wichtig ist. Ein Interview von Leonie Hudelmaier.

Hendrik Streeck ist seit der Corona-Pandemie einer der bekanntesten Virologen Deutschlands. Seine Stelle als Direktor des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn pausiert Professor Dr. Streeck aber gerade. Berlin hat gerufen. Seit Anfang Mai sitzt der 47-Jährige für die CDU im Bundestag, seit Ende Mai ist er der neue Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen. Im Interview erzählt er, wie er dieses Amt begreift und wo überall Suchtgefahren lauern.

Herr Streeck, einmal bildlich gesprochen: Wie ist es, den weißen Laborkittel gegen Anzug und Krawatte im Bundestag einzutauschen?

Das ist nicht ganz neu für mich. In den letzten fünf Jahren war ich schon sehr viel im Maschinenraum der Politik unterwegs. Ich war in verschiedenen Funktionen beratend tätig – ob im Corona-Expertenrat oder in Anhörungen. Und während der Corona-Pandemie ist mein Bedürfnis, Menschen zu helfen, auch politisch geworden.

Es ist also keine große Umstellung für Sie?

Natürlich ist es ein anderes Arbeiten, aber ich bleibe weiterhin Arzt und Wissenschaftler. Das lasse ich in meine politische Arbeit miteinfließen.

Drogenbeauftragter Hendrick Streeck: „Mehr Objektivität und weniger Ideologie“

Verstehen Sie auch so Ihr neues Amt als Drogen- und Suchtbeauftragter?

Ja, ich sehe die Rolle nicht zuallererst aus der Perspektive von Recht, Ordnung und Sitte, sondern aus der Sicht der Gesundheit. Gerade in der Politik braucht es mehr Wissenschaftlichkeit, mehr Objektivität und weniger Ideologie. In Gesundheitsfragen und im Umgang mit Drogen und Sucht ist es wichtig, dass wir analytischer werden und die Emotion aus der Debatte herausnehmen.

Was bedeutet das konkret für Ihr Handeln?

Ich will Menschen helfen, indem ich auf der einen Seite darauf aufmerksam mache, wo Gefahren lauern, und auf der anderen Seite aufkläre.

Gerade die Mediensucht von Kindern wird immer brisanter.

Seit der Corona-Pandemie sehen wir einen starken Anstieg bei der digitalen Mediennutzung vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Mittlerweile hat fast jedes vierte Kind oder Jugendliche ein riskantes Medienverhalten.

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Kann man hier das Ruder noch herumreißen?

Es ist zuallererst wichtig, bei der Medienkompetenz anzusetzen – das haben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart. Denn neben der Abhängigkeit von Sozialen Medien, Spielen und Streamingdiensten gibt es im digitalen Raum weitere Probleme: Auf der einen Seite Online-Glücksspielsucht, Kauf㈠sucht, Pornosucht. Und auf der anderen Seite Inhalte wie Gewalt, Extremismus oder ungesunde Körperbilder, die zur Belastung für die Psyche werden. Die Gesellschaft braucht ein Bewusstsein für diesen digitalen Strudel.

Wäre ein Verbot von Sozialen Medien für Kinder nicht auch ein Ansatz?

Wir haben bereits geltendes Recht, die Datenschutzgrundverordnung. Demnach dürfen solche Accounts – ohne das Einverständnis der Eltern – erst ab 16 Jahren eröffnet werden. Und unter 13 geht rechtlich gar nichts. Doch die Praxis sieht anders aus. Eine neue Studie zeigt, dass bei uns selbst von den Zehn- bis Elfjährigen fast die Hälfte auf TikTok unterwegs ist. Da kann und sollte man sich schon die Frage stellen: Warum setzen wir hier geltendes Recht nicht durch? Wir müssen jetzt eine gemeinsame Linie finden. Und diese dann auch strikt umsetzen!

Drogenbeauftragter Hendrick Streeck: „Cannabisgesetz teilweise sehr widersprüchlich“

Apropos gemeinsame Linie: Die Union wollte das Cannabisgesetz komplett abschaffen. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht nur noch ein Satz dazu: „Im Herbst 2025 führen wir eine ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis durch.“ Reicht das aus Ihrer Sicht?

Als Wissenschaftler kann ich eine evidenzbasierte, wissenschaftliche Evaluation nur begrüßen. In diesem Bereich eine sinnvolle Regelung zu finden, ist sehr komplex. Bei aller Kritik am Status quo, die ich teile, die Wahrheit ist nicht nur schwarz-weiß.

Warum?

Zehn Prozent der Erwachsenen in Deutschland konsumieren regelmäßig Cannabis. Das ist die Realität. Für rund sieben Millionen Menschen gehört der Cannabiskonsum also inzwischen zum legalen Alltag. Jede gesetzliche Änderung greift damit unmittelbar in das Leben vieler Menschen ein – ganz unabhängig davon, wie man persönlich dazu steht. Auf der anderen Seite ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Cannabiskonsum bei Jugendlichen bis zum Alter von circa 25 Jahren zu psychiatrischen und psychotischen Problemen führen kann – zum Teil lebenslang. Lassen Sie uns daher die Evaluation abwarten.

Auf der Bühne trägt der Virologe Hendrik Streeck – hier beim Internationalen Literaturfest in Köln 2025 – noch den klassischen Laborkittel. Trotz seines Bundestagsmandats bleibt er „weiterhin Arzt und Wissenschaftler“. © IMAGO/Christoph Hardt

Was kritisieren Sie an der Cannabis-Teillegalisierung, so wie sie jetzt ist?

Dieses Gesetz ist teilweise sehr widersprüchlich und ich befürchte, dass es manchen Anreiz zum Cannabiskonsum setzt, den wir so nicht brauchen. Dazu gehört auch, dass medizinisches Cannabis viel zu einfach online verschrieben werden kann, obwohl dabei eben nicht unbedingt klar ist, ob wirklich eine Erkrankung vorliegt oder es am Ende doch nur um Freizeitkonsum geht.

Wenn die Cannabis-Debatte wieder aufflammt, was müssen wir beachten?

Diejenigen, die schon letztes Mal ihre Bedenken geäußert haben, müssen stärker in den Fokus gerückt werden: also, Polizisten, Lehrkräfte, Eltern, aber auch Ärzte sowie Kinder- und Jugendpsychiater. Außerdem müssen wir genau hinschauen, ob das Gesetz wirklich für ausreichenden Schutz von Jugendlichen sorgt und parallel ausreichend für Prävention und Aufklärung getan wird.

Beim Alkohol ist man in Deutschland dagegen sehr unbesorgt. Zu lax?

Fest steht: Wir sind ein Alkoholhochkonsumland. Im internationalen Vergleich trinken wir pro Kopf überdurchschnittlich viel Alkohol. Alkohol ist aber auch Teil unserer Kultur. Genau deshalb muss man als Drogen- und Suchtbeauftragter auch realistisch sein: Wir werden nur schrittweise einen Kulturwandel und einen Bewusstseinswandel im Umgang mit Alkohol erreichen.

Wo muss die Aufklärung ansetzen?

Man muss aufzeigen, wo eigentlich das Problem beim Alkohol liegt. Dass er neben Demenz auch Krebs oder fast 200 andere Erkrankungen auslösen kann. Gleichzeitig bin ich froh, dass sich auch die Gesundheitsministerin Nina Warken dafür ausgesprochen hat, das begleitete Trinken ab 14 Jahren abzuschaffen. Alkohol wird für Jugendliche nicht besser, wenn die Eltern danebensitzen.

Für die CDU zog Streeck in den Bundestag ein. © IMAGO/Eibner-Pressefoto/Juergen Augst

Wären höhere Steuern für Alkohol auch ein Ansatz?

Es gibt viele Stellschrauben, an denen man drehen kann. Steuererhöhungen werden auch immer genannt, für die braucht man aber immer eine Mehrheit. Ich glaube nicht, dass man die zurzeit gewinnt.

Sie warnen vor einer drohenden Opioid-Krise in Deutschland. Drängt das Problem so sehr?

Erst mal zur Erklärung: Wir haben keine Opioid-Krise, wie wir sie zum Beispiel in den USA sehen. Ich habe dort neun Jahre gelebt und die Situation ist wirklich erschreckend. Aber wir erleben in Deutschland gerade einen deutlichen Anstieg an neuartigen synthetischen Substanzen, die über das Internet auch direkt in die Hände beispielsweise von Kindern und Jugendlichen gelangen. Dagegen müssen wir dringend etwas tun!

Wie können wir Verhältnisse wie in den USA verhindern?

Wir müssen hier vor die Welle kommen – durch Prävention, Aufklärung, aber auch Monitoring und Frühwarnungen. Also, dass wir in Echtzeit aus der Szene erfahren, welche Wirkstoffe gerade auf den Markt kommen – und das an die Rettungsdienste, Polizei und Suchthilfen melden können.

„Vor die Welle kommen“ erinnert an die Corona-Pandemie. Werden Sie in Ihrem neuen Amt wieder auf Eigenverantwortung pochen?

Das Wichtigste für mich als Arzt ist, dass Aufklärung für Wissen und eine gewisse Mündigkeit sorgt. Und ich werde mich dafür einsetzen, dass wir die Aufklärung über Sucht und Drogen verbessern. Aber ich werde nicht mit dem erhobenen Zeigefinger herumlaufen.

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