Berlin: Dr. Motte: „Wie haben alle gemeinsam den Planeten geravet“

Stand: 11.07.2025 09:52 Uhr

1989 zogen zum ersten Mal knallbunte Gestalten zu wummerndem Techno über den Kudamm. Zehn Jahre später war die Berliner Loveparade weltbekannt. Dr. Motte ist einer ihrer Erfinder. Jetzt ist er 65 und seit Jahren mit Parade Nummer drei am Start.

rbb: Guten Tag, Dr. Motte! Ihr Name ist ja untrennbar verbunden mit der Love Parade. Ist das für Sie Segen oder Fluch?
 
Dr. Motte: Weder noch. Es ist ja auch mit Berlin verbunden, und es ist auch mit mir verbunden. Und es ist total in Ordnung.

Wenn Sie jemand nicht kennt, wie würden Sie kurz beschreiben, wer Sie sind?
 
Erstmal bin ich professioneller Disjockey seit 25 Jahren. Ich bin jetzt in diesem Körper seit 65 Jahren. Ich bin in Spandau geboren und habe sehr früh Musik entdeckt. Meine Mutter hat ja immer zu Hause geprobt, weil sie Opernsängerin war. Also die hat nicht Opern gesungen, sondern eher mitgesungen im Chor.

Nach der Schule haben Sie dann auch was mit Musik studiert?
 
Nein, ich bin Autodidakt. Ich war zu schlecht in der Grundschule. Ich glaube, ich war der schlechteste Schüler des Jahrgangs in der Concordia Grundschule in Spandau.

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Für 65 sehen Sie jung aus – trotz der vielen lauten Musik und des wenigen Schlafs. Was ist Ihr Geheimnis?
 
Ich liebe das Leben. Und denke nicht in der Art und Weise, dass ich jetzt nur noch so viele Jahre habe, sondern heute ist der wichtigste Tag in meinem Leben. Jetzt, hier, dieser Tag.

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Sie werden immer wieder als Erfinder der Love Parade bezeichnet, aber da wird wie so oft eine Frau unterschlagen. Sie waren damals mit der amerikanischen Künstlerin Danielle de Picciotto zusammen, die 1987 nach Berlin gezogen war. Und als der Rave aufkam, haben Sie sich gemeinsam inspirieren lassen zu einer Parade in Berlin auf einer Straße mit bunten Wagen und Kostümen. Durch den Karneval in Rio?
 
Ja, das war so. Ich fand schon immer die brasilianischen Karnevalsumzüge super und dann haben Danielle und ich uns immer auch darüber erhalten, wie toll es ist, wenn Menschen auf der Straße tanzen. Und mit dieser Idee kam dann halt eins zum anderen, innerhalb von sechs Wochen hatten wir das umgesetzt am 1. Juli 1989.

Insgesamt war die Loveparade sieben Mal auf dem Kudamm, Bis wann galt sie als politische Demonstration? Das war ja finanziell wichtig, weil als politische Demonstration musste sich die Stadt um Reinigung und Müllentsorgung kümmern.
 
Was heißt musste? Das ist nun mal im Grundgesetz verankert. Also entweder haben wir Versammlungsfreiheit oder halt nicht. Wir haben von Anfang an ganz klar gesagt, wir demonstrieren auch für etwas, nämlich für Friede, Freude, Eierkuchen.
 
Da gab es auch immer eine Vision dahinter. Frieden also für Abrüstung, Freude, Musik als unser Weg der Kommunikation. Und Eierkuchen für die gerechte Nahrungsmittelverteilung.

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Ab 1996 waren Sie dann im Tiergarten und es wurde immer größer .. ist Ihnen das nicht irgendwann mal über den Kopf gewachsen? Es waren irgendwann, ich glaube 1999, anderthalb Millionen Besucher, die saßen ja auch auf Straßenschildern und Laternen…
 
Na, wir haben eigentlich das gemacht, was wir jetzt auch als Firmennamen haben. Wir haben alle gemeinsam den Planeten geravet. Die Besucher kamen aus der ganzen Welt. Und Westbam hat mal gesagt, dass das eigentlich faszinierend ist: Am Ende war das die größte Versammlung in Form von Völkerverständigung. Und ich bin so ein bisschen wehmütig, weil damals war alles so schön unbelastet. Es war so herrlich unbeschwert.

Sie waren ein großes Team in der Leitung der GmbH. Wie viele Leute?
 
In der Gesellschaft waren wir fünf.

Haben Sie fünf da nicht eigentlich wahnsinnig viel verdient? Merchandise und all sowas. Sie müssten doch reich geworden sein.
 
Wir haben uns keine Gewinne ausgezahlt. Wir haben uns Rücklagen gebildet.

2001 wurde Ihnen der Demonstrationsstatus aberkannt.
 
Das Verwaltungsgericht in Berlin hat gesagt, Ihr seid keine Demonstration, ihr habt ja gar keine Inhalte. Wir müssen dann alles bezahlen, die gesamte Veranstaltung und auch die Leistung von der Polizei und die Straßensperrungen, Reinigung mussten wir bezahlen. Das war wirklich Wahnsinn.

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Und hat es Sie dann so ruiniert, dass Sie die Rechte an der Loveparade an den Besitzer der McFit Gyms verkaufen mussten.
 
Ich habe dann erkannt, dass McFit und Rainer Schaller die Love Parade nur als Marketing-Event für die eigene Fitnesskette benutzt haben. Und ich habe gesagt, dafür stehe ich leider nicht zur Verfügung, wir sind hier eigentlich eine Kulturmarke.

Dann kam 2010 das Unglück in Duisburg mit 21 Toten … hinterher wurde über das Sicherheitskonzept gestritten. Rainer Schaller wurde nicht verurteilt. Er ist mit 53 gestorben mit seiner Familie bei einem Flugzeugabsturz vor Costa Rica. Von so viel Liebe und Helligkeit zu so viel Trauer und Verhängnis.
 
Ja, ich glaube und hoffe und das ist auch das, was ich jetzt die ganze Zeit immer erlebe, wenn wir jetzt die Rave the Planet Parade machen, wie viele Leute das toll finden, dass wir es geschafft haben, den Spirit wieder nach Berlin zu holen.

Am Wochenende werden Sie zum vierten Mal Rave the Planet veranstalten. Das ist ja so eine Art Love Parade Version drei, oder?
 
Vielleicht können wir da ja auch wieder anschließen an einer guten Schwingung durch Tanzen und selbstgemachte Musik.

Vielen Dank für das Gespräch.
 
Das Interview führte Anja Caspary.
 
Der Text ist eine gekürzte und redigierte Fassung des Gesprächs. Das komplette Interview können Sie mit Klick auf das Titelbild hören.
 
Sendung: rbb24-Inforadio, 08.07.2025, 10:47 Uhr

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