Die Staatsrechtlerin Brosius-Gersdorf hält sich nach der Kritik an ihren Positionen einen Rückzug von ihrer Kandidatur zur Richterin am Bundesverfassungsgericht offen. Sie wolle sich jedoch auch nicht der „Kampagne“ gegen sie beugen.
Die von der SPD nominierte Staatsrechtlerin Frauke Brosius-Gersdorf hält trotz Kritik aus der Union vorerst an ihrer Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht fest, schließt einen Rückzug aber nicht aus. Sollte dem Gericht in der Debatte um die Richterwahl Schaden drohen, würde sie sofort verzichten, sagte sie in der Sendung Markus Lanz im ZDF. „Das ist ein Schaden, den kann ich gar nicht verantworten.“
Das Bundesverfassungsgericht müsse in Ruhe arbeiten können und funktionsfähig bleiben. Brosius-Gersdorf betonte: „Ich möchte auch nicht verantwortlich sein für eine Regierungskrise in diesem Land, weil wir nicht wissen, was dann hinterher passiert. Das sind alles Aspekte, die nehme ich unheimlich ernst und die bedenke ich.“
Richterwahl wurde von Tagesordnung genommen
Im Bundestag war die Wahl zweier neuer Richterinnen und eines Richters für das Bundesverfassungsgericht kurzfristig von der Tagesordnung genommen worden. Der Druck gegen die von der SPD vorgeschlagene Brosius-Gersdorf war in der Union zu groß geworden. Die Fraktionsführung konnte die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung nicht mehr garantieren.
Hintergrund der unionsinternen Bedenken war vor allem Kritik an der angeblichen Haltung von Brosius-Gersdorf bezüglich Fragen des Schwangerschaftsabbruchs. Zudem nannte die Unionsfraktion Vorwürfe im Zusammenhang mit der Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf als Grund für die fehlende Unterstützung. Ein österreichischer Plagiatsprüfer hatte kurz vor der geplanten Richterwahl Parallelen zwischen der Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf und der Habilitationsschrift ihres Mannes veröffentlicht.
Brosius-Gersdorf – worum geht es bei den Vorwürfen?
Die Unionsfraktion hat von der SPD den Verzicht auf die Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht gefordert. Als Grund dafür wurden Zweifel an ihrer Doktorarbeit genannt, aufgrund einer Veröffentlichung des als „Plagiatsjäger“ bekannten Stefan Weber auf dessen Website.
Dieser hatte bemängelt, dass es in der Dissertation von Brosius-Gersdorf „23 Verdachtsstellen auf Kollusion und Quellenplagiate“ gebe. Konkret geht es um sogenannte Textidentitäten in der Doktorarbeit der SPD-Kandidatin und der Habilitation ihres Ehemannes, Hubertus Gersdorf.
Allerdings erschien die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf bereits im Jahr 1997, die Habilitation ihres Mannes erst im Jahr 2000. Rein zeitlich ist es also höchst unwahrscheinlich, dass Brosius-Gersdorf die Passagen übernommen hat. Auch Weber selbst teilte auf der Plattform X mit, dass die Sichtweise der CDU, dass von ihm Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf erhoben wurden, falsch sei.
Der Plagiatsexperte Jochen Zenthöfer sieht das ähnlich. In der Plagiatsforschung gelte der Grundsatz, dass bei Textidentitäten die Arbeit als sauber gelte, die zuerst da war – also in dem Fall die von Brosius-Gersdorf.
Der Plagiatsprüfer Weber nahm bereits zahlreiche Politikerinnen und Politiker ins Visier. So erhob er schon Vorwürfe gegen Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck und Annalena Baerbock (beide Grüne).
Schwerdtner: CDU beugt sich Hetzkampagne
Nach massiver Kritik an der Absetzung der Abstimmung sowie dem Agieren der Union betonte Kanzler und CDU-Chef Friedrich Merz, dass kein Schaden für Regierung oder Verfassungsgericht durch die verschobene Wahl eingetreten sei. Es bestehe kein Zeitdruck für eine Neuansetzung der Wahl, die er nach der parlamentarischen Sommerpause anstrebt.
Die Grünen hatten eine Sondersitzung in der Sommerpause des Bundestages gefordert, um die Wahl erneut anzusetzen. Linken-Chefin Ines Schwerdtner dagegen lehnt eine solche Sitzung ab. Diese würde, wenn alle Abgeordneten aus der Sommerpause zurückgeholt werden sollten, 200.000 Euro kosten. Dies sei nicht zu legitimieren, so Schwerdtner im ARD-Morgenmagazin. Die Regierung sei jetzt in der Pflicht, eine Einigung über die Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht herbeizuführen.
Schwerdtner beklagte eine beispiellose Hetzkampagne von rechts gegen Brosius-Gersdorf, der sich die CDU gebeugt habe. Sie ließ zugleich offen, ob die Linke Brosius-Gersdorf weiter unterstützen werde. Der Ball liege jetzt bei CDU und SPD, nicht bei der Kandidatin selbst. „Wir entscheiden nach inhaltlichen Kriterien. Wir werden sie vermutlich weiter unterstützen, aber wir schauen uns das Gesamtpaket dann an.“
Einigung auf Kandidaten ist weiter offen
Wie die schwarz-roten Koalitionsparteien doch noch gemeinsam Richter wählen können, ist derzeit aber noch unklar. Politiker aus der Union halten nach wie vor an ihrer Kritik an Brosius-Gersdorf fest – genauso wie die SPD an ihrer Richterkandidatin.
Bundesforschungsministerin und CSU-Politikerin Dorothee Bär äußerte Verständnis für die Bedenken von Unionsabgeordneten gegen Brosius-Gersdorf und legte ihr nahe, ihre Kandidatur zu überdenken. „Wir haben lauter mündige Abgeordnete, und wenn die sagen, ich kann mit meinem Gewissen Frau Brosius-Gersdorf nicht wählen, dann akzeptiere ich das, dann respektiere ich es und dann erwarte ich aber auch von der Kandidatin, dass sie mal für sich selbst überlegt, ob sie die Richtige ist“, sagte Bär in der ARD-Talkshow Maischberger.
Brosius-Gersdorf spricht von Kampagne gegen sich
Im ZDF sagte Brosius-Gersdorf dagegen, es gehe in der Debatte nicht mehr nur um sie. „Es geht auch darum, was passiert, wenn sich solche Kampagnen, und es war in Teilen eine Kampagne, durchsetzen, was das mit uns macht, was das mit dem Land macht, mit unserer Demokratie.“ Dies müsse sie wägen.
Sie habe Tausende von Zuschriften und Anrufen aus der Bevölkerung, aus der Politik, von Pfarrern, von Kolleginnen und Kollegen aus der Rechtswissenschaft und anderen Disziplinen erhalten, die sie nachhaltig aufgefordert hätten, jetzt nicht zurückzustecken, weil sich dann so eine Kampagne durchsetze.
Unter anderem hatten rund 300 Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler ihre Unterstützung für Brosius-Gersdorf deutlich gemacht. Sie kritisierten in einem offenen Brief, über den das Rechtsmagazin Legal Tribune Online zuerst berichtete, den Umgang mit ihrer Kollegin und warnten vor einer Beschädigung des Bundesverfassungsgerichts.
Zudem gebe es an der fachlichen Qualifikation von Brosius-Gersdorf für den Posten als Richterin in Karlsruhe keine Zweifel, so die Wissenschaftler. Die gegen sie vorgebrachten Vorwürfe im Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit bezeichneten sie als „ausgesprochen unglaubhaft“ und als „Angriff auf das Ansehen der Wissenschaft“.
Juristin: Habe Drohungen erhalten
Die Juristin hatte bereits in einer schriftlichen Stellungnahme gegen sie erhobene Vorwürfe deutlich zurückgewiesen. „Die Bezeichnung meiner Person als ‚ultralinks‘ oder ‚linksradikal‘ ist diffamierend und realitätsfern“, heißt es darin. In manchen Medien sei zudem falsch über ihre Position zum Schwangerschaftsabbruch berichtet worden.
In der ZDF-Talkshow betonte Brosius-Gersdorf nun: „Ich vertrete absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft.“ Dies könne jeder nachlesen. Zugleich berichtete sie, sie habe Drohungen und verdächtige Poststücke erhalten. „Ich musste vorsorglich meine Mitarbeitenden bitten, nicht mehr am Lehrstuhl zu arbeiten“, sagte Brosius-Gersdorf. Die Berichterstattung über die Verfassungsrichterwahl und ihre Person sei „nicht spurlos an mir vorbeigegangen, nicht an mir, nicht an meinem Mann, an meiner Familie, meinem gesamten sozialen Umfeld.“
Zu den Vorwürfen im Zusammenhang mit ihrer Doktorarbeit sagte Brosius-Gersdorf, sie seien „der letzte Versuch mich zu verhindern“. Sie habe sofort Spezialisten mit der Klärung beauftragt, berichtete die Juristin. Eine Rechtsanwaltskanzlei habe die Vorwürfe mehrere Tage lang geprüft und werde eine Stellungnahme abgeben.
Ethikratsvorsitzender: Schlechtes Licht auf politischer Kultur
Der Ethikratsvorsitzende und Jurist Helmut Frister äußerte sich vor dem Hintergrund der abgesetzten Richterwahl besorgt über die politische Kultur in Deutschland. Auf diese werde ein schlechtes Licht geworfen. „Sollte dies Schule machen, wäre zu befürchten, dass hoch qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber es sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie sich so etwas antun wollen“, sagte Frister der Nachrichtenagentur KNA. Vergleiche mit den massiven Angriffen auf die Wissenschaftsfreiheit in den USA hält Frister dennoch für überzogen.
Über Brosius-Gersdorf seien Unwahrheiten über ihre wissenschaftliche Positionen verbreitet worden, so Frister weiter. „Das von Frau Brosius-Gersdorf vertretene Konzept eines abgestuften Lebensschutzes muss niemanden gefallen, ist aber rechtswissenschaftlich gut vertretbar und bedeutet keineswegs, dass das ungeborene Leben verfassungsrechtlich völlig schutzlos gestellt wäre.“
Der im Grundgesetz verankerte Lebensschutz gelte nach diesem Konzept auch für das ungeborene Leben und setze dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren nach Abwägung Grenzen. Die Behauptung, Brosius-Gersdorf trete für eine Zulassung des Schwangerschaftsabbruchs bis zum Beginn der Geburt ein, entbehre folglich jeder Grundlage, hob Frister hervor.