Eine stille Dirigentin

Sjoeke Nüsken mausert sich von der Aussortierten zu einer der wichtigsten Spielerinnen im DFB-Team. Bei der EM in der Schweiz schafft die 24-Jährige den Schritt aus dem Schatten. Dabei hätte die enorm vielseitige England-Legionärin auch in einer anderen Sportart Profi werden können.

Nur einmal sah Sjoeke Nüsken am Dienstagabend kurz ein wenig verlegen aus. Als das vermeintliche Führungstor im zweiten Gruppenspiel gegen Dänemark ihrer DFB-Kollegin Klara Bühl nach Videobeweis aberkannt wurde, wusste sie wohl sofort, dass ihre Abseitsposition der Grund war.

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Abgesehen von diesem Missgeschick war die 24-Jährige allerdings wieder ein wichtiger Faktor für das deutsche Team. Auch wenn mal ein Pass daneben geht – Nüsken bildet stets einen Ruhepol, wenn es im Spiel mal hektisch wird. Und sie übernimmt Verantwortung, wenn es drauf ankommt.

Nüsken macht Gwinn vom Punkt alle Ehre

So geschehen auch beim Elfmeter gegen die Däninnen. Die sonst so sichere Schützin Giulia Gwinn war verletzt abgereist, auf der Suche nach einer eiskalten Nachfolgerin vom Punkt wurde man mit Nüsken fündig.

„Im Spiel haben wir (Nüsken und Janina Minge, Anm. d. Red.) gesagt, wir gucken, wer sich besser fühlt. Ich habe dann zu Janni gesagt, ich nehme den jetzt und mach‘ ihn rein. Das hat dann auch ganz gut funktioniert“, fasste die Torschützin zusammen. Diese Entschlossenheit brachte ihr auch von ihren Teamkolleginnen viel Lob ein.

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„Sjoeke hatte schon in der ersten Halbzeit den Ball in der Hand und hat da sehr lang gestanden. Dann wurde der Elfmeter nochmal aberkannt, was mental schon auch eine herausfordernde Situation ist. Sich dann beim zweiten Mal nochmal den Ball zu nehmen und den in so einer Situation reinzumachen, ist einfach bemerkenswert“, schwärmte Giovanna Hoffmann auf SPORT1-Nachfrage.

Ähnlich sah es auch Anja Mittag, die zu den erfolgreichsten deutschen Nationalspielerinnen zählt. „Da gehört immer viel Verantwortung dazu. Dass sie in dem Moment übernommen hat, zeigt, was für ein selbstbewusster Spielertyp sie ist.“

Nüsken als Vize-Kapitänin? Für Wück „naheliegendste Lösung“

Besonders bemerkenswert ist das auch aufgrund der Tatsache, dass Nüsken in bisher 47 Länderspielen, 83 Partien für Eintracht Frankfurt und 42 Spielen für den FC Chelsea nie zu einem Elfmeter angetreten war – und es sich dennoch in einem so wichtigen EM-Spiel traute.

Diese Einstellung überzeugte auch Bundestrainer Christian Wück davon, sie zur Vize-Kapitänin aufsteigen zu lassen. „Es ist eigentlich aus ihr rausgeplatzt, dass sie gerne den nächsten Step machen möchte, dass sie gerne Verantwortung übernehmen möchte“, erklärte der Coach.

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Da sie dies auf dem Platz ebenfalls ausstrahlte, war sie für Wück die „naheliegendste“ Lösung für die freigewordene Position.

Über Chelsea ins DFB-Team

Für diejenigen, die sich nicht tiefergehend mit den DFB-Frauen befassen, könnte die Entscheidung etwas überraschend gekommen sein, da Nüsken hierzulande bisher etwas im Schatten einiger Mitspielerinnen gestanden hatte.

Denn ihr Aufstieg zur Weltklasse begann, nachdem sie im Sommer 2023 den Wechsel auf die Insel zum FC Chelsea wagte – und damit ein wenig abseits der deutschen Öffentlichkeit. Zudem ist sie weder eine Lautsprecherin auf dem Platz, wie es beispielsweise eine Alexandra Popp war, noch genießt sie große Popularität in den sozialen Netzwerken wie etwa eine Gwinn.

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Doch still und heimlich spielte sich Nüsken immer mehr in den Fokus. Nachdem sie die vergangene EM 2022 noch als Zuschauerin verfolgen musste, weil die damalige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg sie vor Turnierbeginn aus dem Kader gestrichen hatte, blühte sie unter deren Nachfolger Horst Hrubesch auf.

Und auch Wück hielt an ihr fest – selbst als Nüsken in England eine schwierigere Zeit durchlebte, als sie im Frühjahr ihren Platz in der Startelf verlor. Doch die 24-Jährige kämpfte sich zurück und wurde durch diese Erfahrungen gestärkt – vergangene Saison gewann sie gleich drei Titel mit Chelsea.

Frauen-EM: Nüsken widmet besonderen Jubel Mitspielerin

Bei ihrem Klub sticht sie aber nicht nur fußballerisch heraus, sondern auch aufgrund ihrer Vorliebe für verschiedene Torjubel. Diese zeigte sie zuletzt auch beim 2:1 gegen Dänemark.

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Nach ihrem Elfmeter-Tor wurde es ein Telefonhörer in Richtung Kamera – ein Gruß an Chelsea-Teamkollegin Mayra Ramirez, wie sie nach dem Spiel erklärte: „Ich habe bei Chelsea mit Mayra so ein paar Torjubel. Wir haben jetzt gesagt, dass wir das weitermachen, sie in Kolumbien, ich hier – und wir uns so trotzdem connecten.“

Nüskens Kolleginnen beim DFB würden sich wohl nicht beschweren, wenn sie im Laufe der Europameisterschaft noch weitere Torjubel von Nüsken zu Gesicht bekämen.

„Extrem wichtig“: DFB-Kolleginnen geraten ins Schwärmen

Das Vertrauen in ihre Mitspielerin ist auf jeden Fall riesig. „Sjoeke ist für uns einfach als Spielerin, als Charakter extrem wichtig. Die bringt so viel Ballsicherheit und Spielübersicht mit, sie verlagert die Bälle gut für uns. Man kann sich darauf verlassen, dass sie als Bindeglied (…) gut funktioniert“, lobte Hoffmann.

Mit Elisa Senß bildet Nüsken ein Duo, das weniger im Rampenlicht steht als die nicht rechtzeitig fit gewordene Lena Oberdorf, aber als Mittelfeld-Motor dennoch unverzichtbar ist.

Nüskens Entwicklung, die in ihrer Profikarriere auch schon als Abwehrspielerin sowie Stürmerin eingesetzt wurde, fiel auch Linda Dallmann auf: „Sie ist immer da, wo man sie gerade nicht erwartet, sie kommt immer irgendwo aus dem Rücken, erobert den Ball für uns, hält den Weg für uns vorne frei. (…) Sie hat sich extrem entwickelt.“

Teil der „Kartenspiel-Gang“ im DFB-Team

Abseits des Platzes gilt Nüsken, wie auch auf dem Rasen, als weniger lautstarke Vertreterin.

„Sie ist auch eine von der Kartenspiel-Gang. Die sieht man eigentlich nie, die spielen den ganzen Tag Karten“, verriet Dallmann auf SPORT1-Nachfrage. Die Spielerinnen in dieser Gruppe seien zwar „ein Stück weit ruhiger“, würden aber dennoch „sehr viel Charakter“ mitbringen.

Dass Nüsken überhaupt Teil der Fußball-Nationalmannschaft ist, ist dabei gar nicht selbstverständlich. Denn der vielseitige DFB-Star hätte in der Jugend wohl die Option gehabt, auch ohne Mannschaft eine Profikarriere einzuschlagen.

Nüsken galt als riesiges Tennis-Talent

Als Kind heimste sie gleich zwei Deutsche Meistertitel im Tennis ein. Am Ende fiel die Entscheidung aber doch für den Fußball, „weil ich ein Mensch bin, der gern im Team spielt“, wie Nüsken auf SPORT1-Nachfrage erklärte. „Ich hatte damals echt auch Probleme, alleine auf dem Platz zu stehen und habe lieber Doppel gespielt.“

Dennoch hätte sie von ihrer Zeit auf dem Tennisplatz viel profitiert: „Mental hat mich das wahrscheinlich auch gestärkt, dass man da eben auch ein bisschen einen Einzelkämpfer hatte.“ Sie sei aber „superglücklich, dass das ganze Team hinter einem steht und mich supportet.“

Nüsken braucht also ihr Orchester in Form ihrer Mannschaft – und dieses wiederum die Mittelfeldspielerin als seine stille Dirigentin, als die sie wohl auch im weiteren Verlauf der EM eine Schlüsselrolle einnehmen wird.

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