interview
Nach Vorwürfen gegen die für das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagene Juristin Brosius-Gersdorf sieht der Plagiatsforscher Zenthöfer noch viele offene Fragen: Es sei nicht einmal klar, ob sie Täterin oder Opfer sei.
tagesschau24: Worum ging es bei diesen Vorwürfen denn genau?
Jochen Zenthöfer: Es geht darum, dass Frau Brosius-Gersdorf 1997 eine Doktorarbeit veröffentlicht hat. Ihr Mann Hubertus Gersdorf hat im Jahr 2000 eine Habilitationsschrift veröffentlicht. Und in der Tat gibt es da vereinzelte Textübereinstimmungen in beiden Arbeiten. Und diese Textübereinstimmung ist jetzt das, was politisch diskutiert wird. Ob das ein Plagiat ist, kann man natürlich nicht sagen. Und vor allen Dingen kann man zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht sagen, wer da von wem plagiiert hat.
Normalerweise ist es in der Plagiatsforschung so: Die Arbeit, die zuerst vorliegt, ist die, aus der sich bedient wird. Die Arbeit, die zeitlich später erschienen ist, ist dann die Arbeit, die sich bedient hat. Und wenn das so wäre, das müsste man alles noch prüfen, dann wäre Frau Brosius-Gersdorf ja hier das Opfer und nicht die Täterin. Wenn sie hier zur Täterin gemacht wird, wäre das dann eine Täter-Opfer-Umkehr.
Nur minimale Übereinstimmungen
tagesschau24: Wie wird denn im Verdachtsfall jetzt verfahren?
Zenthöfer: Da gibt es Prozesse an den Hochschulen. Die Hochschule, die Frau Brosius-Gersdorf promoviert hat, und auch die Hochschule, die Herrn Gersdorf die Lehrbefugnis erteilte, also die Habilitation anerkannt hat, die werden sich das anschauen müssen, die werden das prüfen.
Nach dem, was bisher bekannt war – und ich habe mir die beiden Arbeiten letzte Nacht sehr genau angeguckt und auch die Vergleiche gemacht – reden wir hier von einem Textübereinstimmungsanteil von unter 0,2 Prozent des jeweiligen Gesamttextes. Das bedeutet, ich sehe da keine Gefahr für die akademischen Abschlüsse der beiden Personen.
Darüber hinaus gibt es aber natürlich politische Fragen. Die kann ich als Plagiatsexperte hier nicht beantworten. Die dürfen natürlich auch gestellt werden, aber die akademischen Abschlüsse der beiden Personen sind meines Erachtens aufgrund der geringen Menge der Textidentitäten nicht in Gefahr.
Zur Person
Jochen Zenthöfer studierte Rechtswissenschaften in Bonn, Sydney und Berlin. Als Journalist berichtet er über Plagiate in wissenschaftlichen Arbeiten. Zu dem Thema veröffentlichte er das Buch „Plagiate in der Wissenschaft – Wie ‚VroniPlag Wiki‘ Betrug in Doktorarbeiten aufdeckt“.
Langwierige Prüfungen notwendig
tagesschau24: Jenseits der geringen Menge und der Reihenfolge der Arbeiten – was für Textstellen waren das denn?
Zenthöfer: Beide haben eine juristische Arbeit geschrieben. Das sind natürlich unterschiedliche Themen, zum Teil haben sie eine ähnliche Herangehensweise, eine ähnliche thematische Situation: Da geht es um den Bundesrat, da geht es um Verfassungsnormen, da geht es um die Frage der Volkssouveränität, ob der Bundesrat legitimiert ist, gewisse Entscheidungen zu treffen, ob es in der Bundesbank gewisse Legitimationsdefizite gibt.
Das sind sehr kernverfassungsrechtliche Themen, die, soweit ich es beurteilen kann, auch sehr gut bearbeitet wurden. Aber nichtsdestotrotz haben sich die Arbeiten in Teilen sowohl in der Argumentation als auch bei der verwendeten Literatur überschnitten. Und diese Überschneidung wird auch deutlich, die ist nicht leugbar.
Allerdings ist es natürlich auch so, dass viele Arbeiten in der Juristerei ähnliche Themen behandeln und es immer wieder zu ähnlichen Bearbeitungen kommt. Das muss jetzt eigentlich die Universität prüfen. So was dauert ein halbes Jahr, kann auch ein Jahr dauern: Da muss man die Betroffenen befragen. Dazu muss man Literatur zurate ziehen. Da muss man sich das ganz genau anschauen, was da passiert ist. Und das eignet sich nicht, um hier eine schnelle Analyse innerhalb von wenigen Stunden machen zu können. Dafür ist das Thema zu komplex. Das geht leider nicht.
Brosius-Gersdorf – worum geht es bei den Vorwürfen?
Die Unionsfraktion hat von der SPD den Verzicht auf die Wahl der Juristin Frauke Brosius-Gersdorf für das Bundesverfassungsgericht gefordert. Als Grund dafür wurden Zweifel an ihrer Doktorarbeit genannt, aufgrund einer Veröffentlichung des als „Plagiatsjäger“ bekannten Stefan Weber auf dessen Website.
Dieser hatte bemängelt, dass es in der Dissertation von Brosius-Gersdorf „23 Verdachtsstellen auf Kollusion und Quellenplagiate“ gebe. Konkret geht es um sogenannte Textidentitäten in der Doktorarbeit der SPD-Kandidatin und der Habilitation ihres Ehemannes, Hubertus Gersdorf.
Allerdings erschien die Doktorarbeit von Brosius-Gersdorf bereits im Jahr 1997, die Habilitation ihres Mannes erst im Jahr 2000. Rein zeitlich ist es also höchst unwahrscheinlich, dass Brosius-Gersdorf die Passagen übernommen hat. Auch Weber selbst teilte auf der Plattform X mit, dass die Sichtweise der CDU, dass von ihm Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf erhoben wurden, falsch sei.
Der Plagiatsexperte Jochen Zenthöfer sieht das ähnlich. In der Plagiatsforschung gelte der Grundsatz, dass bei Textidentitäten die Arbeit als sauber gelte, die zuerst da war – also in dem Fall die von Brosius-Gersdorf.
Der Plagiatsprüfer Weber nahm bereits zahlreiche Politikerinnen und Politiker ins Visier. So erhob er schon Vorwürfe gegen Olaf Scholz (SPD), Robert Habeck und Annalena Baerbock (beide Grüne).
Union hätte sich Arbeiten ansehen können
tagesschau24: Ich will Sie jetzt nicht danach fragen, ob dieser Vorwurf erhoben wurde, um einen politischen Skandal zu initiieren. Aber hätte die CDU /CSU herausfinden können oder müssen – es gibt ja auch Rechtsabteilungen -, dass die Vorwürfe so nicht richtig sind?
Zenthöfer: Die Vorwürfe wurden von dem Plagiatsforscher Stefan Weber aus Österreich erhoben – gestern Nachmittag auf einer Onlineplattform. Die treffen auch zu. Herr Weber hat ja da ein gewisses Renommee und die Textübereinstimmungen liegen also vor. Die Frage ist halt: Wieviel ist es?
Man muss es einordnen, man muss es einsortieren, man muss schauen: Wer hat da möglicherweise von wem abgeschrieben? Aber die CDU hätte sich das sicherlich auch näher anschauen können, hätte sich die beiden Arbeiten kommen lassen können – die sind ja in der Bundestagsbibliothek vorhanden.
Nach dem jetzigen Stand hätte ich gesagt: Das kann jetzt kein Stopper sein, um jemanden zur Bundesverfassungsrichterin zu wählen. Es ist jetzt kein Fall Theodor zu Guttenberg, wo seitenweise abgeschrieben wurde, wo wir riesige Plagiatsprobleme haben. Wir reden hier über ein Thema, was wirklich am unteren Rand dessen ist, was wir bisher an Plagiatsfällen kannten.
Aber die politische Bewertung kann ich natürlich den Parteien in Berlin nicht abnehmen. Ich bin ja hier nur der Experte für die inhaltliche Frage, ob ein Plagiat oder ein Textübereinstimmung vorliegt und wie man das einzuordnen hat.
Die Fragen stellte tagesschau24-Moderator Michail Paweletz. Für die schriftliche Fassung wurde das Interview leicht überarbeitet.